Rückwärts in der Zeit — Ein (archäologischer) Besuch im Bukarester Stadtmuseum

Oliver Dietrich
5 min readApr 9, 2021

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Ein kleiner Geheimtip für Besucher von Bukarest ist das Stadtmuseum, zentral am Universitätsplatz gelegen.

Stadtmuseum Bukarest (Foto O. Dietrich, 2019).

Der Erfolg von Ausstellungen hat viel damit zu tun, ob Menschen sich vom Gesehenen persönlich angesprochen fühlen, ob Besucher eine emotionale Verbindung zum Gezeigten aufbauen können. Hierin mag einer der Gründe liegen, der die Macher der neuen Ausstellung im Bukarester Stadtmuseum bewogen hat, den Rundgang rückwärts gerichtet, als eine Reise in die Vergangenheit anzulegen.

Bukarest 2003, Piata Victorie mit Blick hin zum “Haus des Volkes”, für dessen Errichtung etwa 1/4 der Altstadt abgerissen wurden (Foto O. Dietrich).

Bukarest hatte im 20. Jahrhundert eine außerordentlich bewegte Geschichte mit großen Veränderungen im Stadtbild. Einiges vom „Paris des Ostens“ ist den Zerstörungen des Erdbebens von 1977 und der planmäßigen Umgestaltung ganzer Stadtbezirke unter Ceaușescu zum Opfer gefallen. Die radikalen Veränderungen im Stadtbild sind tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Der Ausstellung gelingt es durch die Thematisierung dieser (Um)Brüche, unter anderem durch drehbare Tafeln mit Vorher/Nachherbildern Staunen über die Tiefe der Veränderungen hervorzurufen. Viele zeitgeschichtliche Stücke gleich in den ersten Vitrinen dürften auch jüngeren noch aus eigener Erfahrung bekannt sein und vermitteln das Gefühl, dass es hier um die eigene Geschichte geht, selbst wenn die in den nächsten Räumen folgenden Stücke mit wachsendem zeitlichen Abstand immer fremder werden.

Bukarest, Altstadt, 2003 (O. Dietrich).

Ganz am Ende der Ausstellung steht die Vor- und Frühgeschichte des Bukarester Raums, die mir als Archäologen, der sich beruflich mit Südosteuropa beschäftigt, natürlich nahesteht und Bekanntes enthält. Für den durchschnittlichen Besucher dürfte hier allerdings der höchste Grad an Fremdheit mit dem Gezeigten erreicht sein. Archäologische Funde sind ohne zusätzliche Erklärungen oft schwer verständlich. Nicht nur das Alter, sondern auch die Funktionen vieler Gegenstände bleiben ohne Erläuterungen unklar, und es ist schwierig, einen persönlichen Bezug zu solchen Objekten aufzubauen.

Stadtmuseum Bukarest, archäologische Ausstellung (Foto O. Dietrich, 2019).

Wie gelingt es nun der Ausstellung, die der Archäologie immerhin einen ganzen, in mystisches, von Spotlights innerhalb der Vitrinen gebrochenes Dunkel gehüllten Raum widmet, den Besucher für die gezeigten Objekte zu interessieren? Versammelt sind immerhin einige wichtige und eindrucksvolle Stücke, wie zum Beispiel die „Göttin von Vidra“, ein reich verziertes menschengestaltiges Gefäß der kupferzeitlichen Gumelnita-Kultur des 5. Jahrtausends v. Chr., gefunden in einem Siedlungshügel auf dem heutigen Stadtgebiet von Bukarest.

Die “Göttin von Vidra”, ein chalkolithisches anthropomorphes Gefäß aus einem Siedlungshügel bei Bukarest (Foto O. Dietrich, 2019).

Eine Möglichkeit hierzu wäre der Fundort. Menschen sind oft fasziniert, wenn etwas Altes, vielleicht wichtiges, an ihrem Wohnort zutage kam. Da zahlreiche Ausstellungsstücke aus Grabungen stammen, die im Rahmen der Umgestaltungsmaßnahmen im Stadtgebiet durchgeführt wurden und diesen Ausgrabungen hoher wissenschaftlicher Wert zukommt (die bronzezeitliche Tei-Kultur ist zum Beispiel anhand von Bukarester Fundorten bekannt und periodisiert worden), wäre ein solcher Bezug einfach herzustellen. Diesen Weg geht die Bukarester Ausstellung nicht, Angaben zu den Fundorten sucht man an den Vitrinen meist vergebens. Lediglich einige Funde werden auf Erklärungstafeln an einer der Wände ausführlicher dargestellt, darunter die „Göttin von Vidra“.

Tasse der bronzezeitlichen Tei-Kultur mit erhaltener weißer Inkrustation (Foto O. Dietrich, 2019).

Das Fehlen von Angaben zu Fundorten in Ausstellungen finde ich generell ungünstig. Erst der Fundort ermöglicht ein späteres Nachschlagen und eine eingehendere Beschäftigung. Die meisten im Bukarester Stadtmuseum aktuell gezeigten bronzezeitlichen Stücke stammen aus den Grabungen D. V. Rosettis und sind über seine Arbeiten, insbesondere die Monographie zur „Bukarester Kultur“ (später nach einem wichtigen Fundort umbenannt in Tei-Kultur) einfach zu erschließen. Ohne dieses Hintergrundwissen würde ich aber, wie schon in anderen Ausstellungen geschehen, ratlos vor dekontextualisierten Funden stehen. Die Fundortlosigkeit gehört allerdings in gewisser Weise zum Ausstellungskonzept. Zentral im Raum ist in einer langen Vitrine Keramik ausgestellt, von jungsteinzeitlichen Funden der Boian-Kultur bis ins Mittelalter. Vermittelt wird hier der Zeitverlauf ebenso wie die gängigste archäologische Methode zu ihrer Bestimmung, die Betrachtung des Stilwechsels in Form und Verzierung von Tongefäßen.

Kupferzeitliche Beile (Foto O. Dietrich, 2019).

Gebrochen wird der chronologische Rundgang durch die am Rand des Raumes platzierten Vitrinen, die jeweils die Entwicklung bestimmter Objektgruppen, z.B. Messer, Beile, Lampen thematisieren. Hier gelingt es – nach der statistisch freilich nicht relevanten Beobachtung anderer Besucher zu urteilen – der Ausstellung tatsächlich gut durch die Gegenüberstellung oft heutigen Gebrauchsgegenständen ähnelnder mittelalterlicher mit früheren Objekten Aha-Erlebnisse zu provozieren. Die Funktion einer retuschierten langen Feuersteinklinge lässt sich offenbar durch die Platzierung bei einen Eisenmesser auch ohne viel Erklärungen erfassen. Eigene Erkenntnisprozesse auszulösen und Fremdes so begreiflich zu machen statt auf Texttafeln über komplexe wissenschaftliche Interpretationen zu diskutieren, ist sicher ein nachahmenswertes Konzept, das allerdings dort an eine Grenze stoßen muss, wo in der Wissenschaft Kontroversen über die Deutung von Fundgruppen anhalten. Dies ist beispielsweise bei einer Vitrine der Fall, die prähistorische Figurinen z.B. neben römische Götterbilder stellt und damit einen Konsens zu einer kultisch-religiösen Deutung vorgeschichtlicher Bildwerke suggeriert. Tatsächlich spielt sich die im Fach andauernde Diskussion um die Interpretation vorgeschichtlicher Figurinen zwischen so gegensätzlichen Polen wie Kinderspielzeug, Magie und Religion ab. Es wäre wünschenswert, solche Unsicherheiten der Deutung in Ausstellungen zu thematisieren.

Treppenaufgang im Palatul Suțu, der das Stadtmuseum beherbergt (Foto O. Dietrich, 2019).

Insgesamt hinterlässt die neu gestaltete Ausstellung im Bukarester Stadtmuseum, und nicht nur der archäologische Teil, einen ausgesprochen guten Eindruck. Besucher der Stadt, die etwas über die sehr wechselhafte Geschichte Bukarests erfahren möchten, kann ich einen Besuch uneingeschränkt empfehlen. Zusätzlich zu den Ausstellungsstücken ist auch das Gebäude des Museums sehr interessant – beim Palatul Suțu, erbaut in den 1830er Jahren, handelt es sich um einen der wenigen mit originaler Innenausgestaltung und ohne größere Umbauten erhaltenen Adelspaläste des einstigen „Paris des Ostens“.

Zu Website des Museums geht es hier.

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Oliver Dietrich
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Written by Oliver Dietrich

I am an archaeologist working in southeastern Europe and the Near East / Archäologe, arbeitet in Südosteuropa und Südwestasien.

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